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AutorenbildTinTro

Eckdaten: Stil

Dies ist der letzte Teil aus der Serie „Eckdaten“. Mit ihm müssten alle wichtigen Fragen beantwortet sein. Solltet Ihr doch noch welche haben, stellt sie mir gerne über meine sozialen Kanäle. Eventuell entsteht daraus ein weiterer Beitrag zu dieser Reihe.

Vorerst schließt aber dieser hier, in dem es um den stilistischen Aspekt meiner Werke geht. Damit sind sowohl deren Stilrichtung als auch mein Malstil gemeint.




Lange habe ich mir keine Gedanken gemacht, ob meine Arbeit sich irgendwie kategorisieren lässt. Sowas interessiert mich eigentlich nicht. Ich sprach einfach von „Synästhesie-Bildern“ und das hat für mich gereicht.

Als ich aber begann mich bei Galerien vorzustellen, war es gerade der Begriff „Synästhesie“ der mir ein: „Das passt nicht in unser Programm.“ einbrachte. Darum habe ich mich überwunden, mir eine Schublade zu suchen, um zumindest fürs erste Kennenlernen einen Ansatzpunkt zu bieten. Wenn also nötig oder gewünscht, bezeichne ich mich als Abstrakte Expressionistin. Bin ich aber überhaupt eine?

Um das herauszufinden müssen wir uns erstmal mit den Begrifflichkeiten beschäftigen. Was bedeuten Abstrakte Malerei und Expressionismus?

Beide Richtungen entstanden zwar erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, doch eine Abkehr von der Akademie Malerei vollzog sich schon in den 1880ern mit dem Impressionismus. Mit innovativen Techniken und neuen Sujets wollte man weg von makellosen, symbolschwangeren Darstellungen der Bibel- und Mythengeschichten.

1905 gründeten die Expressionisten Erich Heckel, Fritz Bleyl, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmitt-Rottluff in Dresden die Künstlergruppe „Die Brücke“. Ihre Themen in Bildern und Holzschnitten waren die moderne Stadt mit all ihren Vergnügungsstätten und sinisteren Nächten genauso wie der Einklang von Mensch und Natur. Letzteres vornehmlich in Form von Badenden dargestellt.

Ein von gesellschaftlichen Zwängen befreites Leben im Hier und Jetzt. Das junge Wilde und Unkonventionelle waren für die Gruppe jedoch mehr als Motivlieferanten. Sie waren das Ideal eines Lebensentwurfs nach dem sie strebten.

Sie bildeten die Welt ab wie sie sie subjektiv erfuhren und richteten sich dabei nur nach ihrer Intuition und ihren inneren Leidenschaften. Das resultierte in stark abstrahierten Körpern und Gegenständen.




Erich Heckel, "Badende am Waldteich", 1910 (Quelle: kunstkopie.de )


Ein bedeutender Unterschied, denn ich abstrahiere nicht. Ich zeige die Lieder in der Gestalt, in der sie sich mir offenbaren. Darin sind sie einzigartig, denn so erscheinen sie nur mir. Sie haben für jeden einzelnen Synästhesisten und jede einzelne Synästhesistin ein eigenes Kleid. Manchmal trägt „Singin´ in the rain“ blaue Streifen mit roten Punkten, ein anderes Mal einen Veilchenduft und dann den Geschmack von Zartbitterschokolade.

Außerdem lehnen sie sich in ihrer Optik nicht an die Realität an, da sie ihr nicht entspringen. Sie existieren fernab von ihr im Unbegreiflichen.

„Abstrakte Kunst“ ist wiederum bloß ein Oberbegriff für zwei Stilrichtungen, die sich in den 1910ern parallel entwickelten und sich in viele weitere Strömungen aufspalteten.

Basierend auf den Werken Mondrians, entstanden Bilder, die mit mathematischen Berechnungen sorgfältig konstruiert wurden und akkurate, geometrische Figuren zeigten.

Franz Marc und Wassiliy Kandinsky dagegen waren Wegbereiter für eine Kunstsprache, in der Farbe völlig dem Formkorsett entledigt wird und nicht mehr über sich selbst hinaus auf etwas verweist. Auch diese Werke spiegeln das innere Gefühlsleben der Künstler*innen wieder. Sie sind quasi eine Momentaufnahme aus der Seele. Die Bilder erzählen von purer, beinahe willkürlicher, Impulsivität.

Es gibt kein richtig oder falsch. Gut oder schlecht. Alles ist erlaubt.


Franz Marc, "Vögel", 1914 (Quelle: kunstkopie.de )


Hier eine kleine Auswahl der unterschiedlichen Strömungen:


Stile mit Komposition:


Konstruktivismus


Kasimir Malewitsch, "Schwarzes Quadrat auf weißem Grund", 1915 (Quelle: Wikipedia)



Suprematismus


Olga Rozanowa, "Four Aces. Simultaneous Representation", 1915 (Quelle: Wikimedia)



Analytische Malerei



Niele Toroni, " Interprètation graphique d'une œuvre", 2006 (Quelle: Wikimedia)



Stile ohne Komposition:



Tachismus


Karl Otto Götz, "Giverny-Ex", 1993



Action Painting


Jackson Pollock, "Reflection of the Big Dipper", 1947 (Quelle: aos-magazine.com )


Im wilden Künstler*innengewimmel des Big Apple entstand dann in den 40ern der Abstrakte Expressionismus. Auch er war Part der großen Bewegung gegen den Naturalismus und Realismus.

Ihn näher zu definieren ist schwierig, da er Ideen aus dem Kubismus wie dem Automatismus entlehnt. Selbst die Fachliteratur ist sich nicht einig, ob Tachismus und Action Painting direkt dem Abstrakten Expressionismus oder allgemein der Abstrakten Malerei zuzuzählen sind.

Außerdem weisen seine Werke kaum gemeinsame Merkmale auf. Dabei geht es nämlich nicht um die Motive oder die Technik, sondern um einen freien Geist. Die Devise lautete: Einfach drauf los malen. Der spontane Akt unter Ausschluss der Vernunft sollte ehrlichere und persönlichere Bilder hervorbringen. Proportionale Korrektheit oder überhaupt die eindeutige Erkennung des Dargestellten spielten gar keine Rolle mehr. Die Ästhetik zeigte sich von einer ganz neuen Seite.



Agnes Martin, "Mid Winter", ca. 1954 (Quelle: pinterest)


Alfred Barr, der erste Direktor des Museum of Modern Art, beschrieb die Formen des Abstrakten Expressionismus so: „eher organisch und biomorph als geometrisch, eher kurvig als rechteckig, eher dekorativ als strukturell“.



Lee Krasner, "Portrait in green", 1969 (Quelle: shirn.de )



Willem de Kooning, "Frau", 1953-54 (Quelle: postwar.hausderkunst.de )


Die Legende besagt, der Begriff entstand im New York der Nachkriegszeit. Laut dem Schriftsteller Hans Sahl, damals noch im Exil, saß man in bierlauniger Runde mit Bildhauern*innen und Malern*innen zusammen. Diese diskutierten darüber, dass etwas Neues her müsse. Etwas, dass weder abstrakt noch expressionistisch sei und gleichzeitig doch beides. Woraufhin Jackson Pollock „Abstrakter Expressionismus“ vorschlug.



"With his hot and blue guitar", 18. August 2019; 40x60cm; Acryl auf Leinwand


Zu meinem persönlichen Malstil: Ich mache keine Skizze, ich habe das Bild nur grob im Kopf. Es sind lediglich Überlegungen darüber wie ich die Elemente anordnen kann um ebenso Harmonie wie Dynamik herzustellen, aber beim Malen ergeben sich meist noch bessere Möglichkeiten und das eigentliche Bild entfernt sich immer mehr von der ursprünglichen Idee.

Doch eine spannungsvolle, ausgewogene Komposition ist nicht jedes Mal möglich. Zuweilen dominiert eine Farbe fast das gesamte Album.



"One hot minute", 1. März 2019; 40x60cm; Acryl auf Leinwand


Anders als bei den Abstrakten Expressionist*innen steht bei mir weniger die Spontanität im Vordergrund. Die Entstehung eines Bildes ist für mich ein sinnlicher Vorgang. Musik sehen, Motiv hören, Farbe riechen, Pinsel fühlen, erschaffen.

Und ich möchte mich eigentlich nur an die Vorgaben meiner synästhetischen Wahrnehmungen halten und den Rest dem Augenblick der Schöpfung überlassen.

Die Visualisierung des Gehörten soll auch für mich überraschend bleiben. Es können immer unvorhergesehene Dinge passieren: Eine ausgewählte Technik erzeugt nicht den gewünschten Effekt oder ein Farbton lässt sich nicht so einfach mischen wie erwartet.

Nicht nur den Liedern muss ich in Form- und Farbausdruck und Größe gerecht werden, sondern auch den Farben selbst. Ihre Charaktere sagen mir, ob sie sich mit den anderen vermischen möchten, ob sie pastös oder flüssig aufgetragen werden möchten, ob sie verlaufen wollen, ob sie decken wollen...

Manchmal lässt mich die Synästhesie auch Quadrate, Kreise oder Rechtecke hören. Für diese lege ich jedoch nicht das Lineal an, weil Perfektion nicht das Ziel ist. Indem ich frei Hand arbeite, schaffe ich eine augenblicklichere Wirkung.

Ein Großteil der Abstrakten Maler*innen arbeitet übrigens wie ich mit Acrylfarben. Neben ihrem kräftigen Ausdruck schätze ich sie aus praktischen Gründen. Sie sind lichtecht und trocknen schnell. Ich präpariere die Leinwand vorher nicht, damit sie die Pigmente trägt wie nackte Haut ein Parfüm.



"Freaky Styley" in progress


Regeln stören mich. Ja, und die Vernunft stört mich genauso. Der ganze Prozess soll, trotz seiner Dauer von acht bis zehn Stunden, so direkt wie möglich sein. Er ist eine Intimität zwischen mir und der Musik. Und die interessiert sich nicht für künstlich erzeugte Raumillusion und kerzengerade gezogene Linien. Deshalb passen die ungegenständliche oder, wie manche ihrer Vertreter*innen sagen, reine Malerei und Musik hervorragend zusammen. Während ich male laufen die entsprechenden Lieder, damit die Betrachtenden später einen nahezu ähnlichen Zugang haben wie ich. Ganz so als würden sie sie auch gerade hören.


Im Vorstellungsprogramm der Brücke hieß es:

„Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“


Nach dieser Definition bin ich wohl doch eine von ihnen. Vielleicht mache ich genau das. Ich wählte diese Bezeichnung für mich ja auch nicht von ungefähr. Meine Bilder zeigen abstrakte Gebilde, aber diese verweisen auf ihren Geburtsort in einem anderen Medium.

Durch meine Arbeit möchte ich etwas ganz Persönliches ausdrücken, dass so auch nur ich allein ausdrücken kann. Es sind aber nicht meine Umgebung und Sehnsüchte, die mich dazu treiben. Etwas in meinem Kopf Unbändiges wird für die Betrachtenden auf Leinwand gebannt. Sie sollen sich auf das Unbekannte einlassen, sich Zeit nehmen, um etwas ihnen Bekanntes darin zu entdecken. Das Schöne daran ist, dass das für jeden etwas anderes sein kann und so ein und dasselbe Bild eine individuelle Herausforderung wird.

Meine Kunst will also weder abstrakt noch expressionistisch sein.

Ist es aber auf ihre eigene Art doch.



Ein schönes Wochenende!


Eure TinTro






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